Junge Altersgruppen im Mittelpunkt der Verkehrsforschung

Juliane Stark, 03/2024

Kinder und Jugendliche stellen aus mehreren Gründen eine relevante Altersgruppe in der Verkehrsverhaltensforschung dar. Ein Schlüsselaspekt, der die Besonderheit dieser Gruppe unterstreicht, sind jüngste beobachtbare Tendenzen im Bereich Mobilitäts- und Bewegungs- bzw. Gesundheitsverhalten, welche eine nicht nachhaltige Entwicklung repräsentieren und Handlungsbedarf aufzeigen: So zeigen Trends kontinuierlich abnehmende Raten körperlicher Aktivität (physical activity – PA) bei Kindern und Jugendlichen (z.B. WHO 2018). In Österreich beispielsweise erfüllen nur 17% der Schüler/innen die Empfehlungen gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für körperliche Bewegung von Kindern (Maier et al., 2017; Ramelow et al., 2015).

Österreichische Bewegungsempfehlungen Kinder und Jugendliche 6-18 Jahre (nach Fonds Gesundes Österreich, 2020)

Sinkende PA-Level gehen mit negativen gesundheitlichen Konsequenzen einher, z.B. steigenden Raten von Adipositas (z.B. Pucher et al., 2010; Lobstein et al., 2004). In einer Studie aus dem Jahr 2016 geben 65% junger Menschen zwischen 14 und 29 Jahren an, körperliche Beschwerden zu haben (Knechtsberger & Schwabl, 2016). In Übereinstimmung mit diesen Entwicklungen können auch sinkende Raten aktiver Mobilitätsformen (Gehen, Radfahren) im Alltag von Kindern und Jugendlichen in Österreich beobachtet werden (Tomschy et al., 2016).

Mobilitätsverhalten junger Altersgruppen (nach Tomschy et al., 2016 & 2017)

Erschwerend kommt hinzu, dass auch die eigenständige Mobilität von Kindern abzunehmen scheint (z.B. Shaw et al., 2013; Frauendienst & Redecker, 2011). Diese Tendenzen der Inaktivität von Kindern können auch zu Konsequenzen für ihre Verkehrsteilnahme bzw. Verkehrssicherheit führen, wenn sie erwachsen sind. Zum Beispiel, da ihre psychomotorischen Fähigkeiten nicht gut trainiert sind, was zu Schwierigkeiten beim Radfahren führen kann (Meschik et al., 2017). Kinder sind per se aus vielerlei Gründen eine vulnerable Gruppe im Straßenverkehr. Unter anderem ihre geringe Körpergröße und nicht (vollständig) ausgeprägten Verkehrskompetenzen (Schützhofer et al., 2015) spielen hier eine Rolle. In Österreich ist der Straßenverkehr eine der Hauptsterbeursachen in der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren; besonders junge Motorradfahrer/innen gehören zu den Gruppen mit den hohen Unfallraten (Statistik Austria, 2011). Insgesamt gibt es noch ein großes Potenzial, wenn es um die Gestaltung eines kindgerechten Verkehrs- und Mobilitätssystems geht. Letzteres bedeutet nicht nur die Schaffung von Infrastruktur, die das sichere Zufußgehen, Rollern und Radfahren fördert, sondern sieht den Verkehrsraum darüber hinaus auch als Raum zum Aufenthalten und Spielen – als Lebensraum.

Eckpunkte eines kindgerechten Verkehrssystems (Stark, 2021)

Die beschriebenen Themen zeigen deutlich, wie wichtig die Förderung aktiver Mobilitätsformen für diese Altersgruppe ist. Es bedarf effizienter Interventionen, die darauf abzielen, die Einstellungen und das Mobilitätsverhalten frühzeitig im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung gestalten und der späteren Entwicklung autoorientierter Lebensstile entgegenwirken. Gelingen kann dies nur, wenn Entscheidungsträger/innen, Planer/innen, Pädagog/innen und Eltern an einem Strang ziehen. Insbesondere Eltern sind ein Schlüsselfaktor, da das Mobilitätsverhalten von Kindern nicht (nur) Ausdruck ihrer eigenen Entscheidungen ist, sondern das Ergebnis komplexer Haushaltsentscheidungen. Akteure müssen ein Verständnis dafür entwickeln, dass die Integration aktiver Mobilitätsformen in die Alltagsmobilität von Kindern zu ihrem Wohlbefinden und ihrer Lebensqualität beitragen kann (z.B. Friman et al., 2018; Waygood et al., 2017 & 2018; Stark et al., 2018c) und dass kindgerechte Verkehrsräume allen nützen.

Auch wenn einige Determinanten des Mobilitätsverhaltens bekannt sind, besteht weiterer Forschungsbedarf, wenn es um die Beeinflussbarkeit des Mobilitätsverhaltens bzw. von mobilitätsrelevanten Einstellungen junger Menschen geht. Hierbei werden auch methodische Aspekte schlagend, die die Forschung zu Kindern und Jugendlichen im Kontext von Mobilität und Verkehr zu einer besonderen Herausforderung machen.

Referenzen

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